DIALOG IN DEN GEISTES- UND SOZIALWISSENSCHAFTENW NAUKACH HUMANISTYCZNYCH I SPOŁECZNYCH
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Ukrainer in Polen und Deutschland – zivilgesellschaftliches und politisches Engagement, Erwartungen, Handlungsmöglichkeiten

Einleitung

Die Entwicklungen in der Ukraine seit 2013 stellen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten vor neue Herausforderungen. Besondere Aufmerksamkeit erhalten zwei zentrale Aspekte: die Förderung der Demokratisierung der Ukraine und die Annäherung des Landes an die EU. Die dauerhaft oder vorübergehend in der EU lebenden Ukrainer können einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen leisten.

Engagement findet in den Bereichen Bildung, Politik, humanitäre Hilfe, Kultur, Sport und Religion statt.

Die Untersuchung soll einen Überblick über die Bandbreite des zivilgesellschaftlichen Engagements der in Deutschland und Polen lebenden Ukrainer geben. Dazu wurden Aspekte wie politische Aktivitäten, Beiträge zur Demokratisierung und Unterstützung der Ukraine sowie die Organisationsformen, in denen das Engagement stattfindet, analysiert.
Dabei zeigten sich Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den in Polen und Deutschland engagierten Ukrainern. Auf dieser Grundlage wurden Empfehlungen zur Förderung der Aktivitäten der Ukrainer formuliert. Diese Empfehlungen richten sich an die ukrainischen, polnischen und deutschen Behörden sowie an nichtstaatliche Organisationen.

Fragestellungen und Methodik

Im Hinblick auf das Engagement für das Heimatland ist die Gruppe der in Deutschland und Polen lebenden Ukrainer sehr heterogen. Das Spektrum reicht von politisch und gesellschaftlich aktiven, bis zu passiv-uninteressierten Personen. Da die engagierten Personen mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung und ihren Kontakten vor Ort zu Partnern Deutschlands und Polens bei der Unterstützung der ukrainischen Zivilgesellschaft werden können, liegt es im Interesse beider Länder, das Engagement dieser Gruppe zu fördern. Eine gezielte Unterstützung ausgewählter Organisationen setzt aber Kenntnisse über die ukrainischen Gemeinschaften in beiden Ländern voraus. Folgende Punkte wurden mit Hilfe von qualitativen, vertieften Interviews untersucht:  

  1. die zivilgesellschaftliche Aktivität der ukrainischen Migranten und der ukrainischen Minderheit in Polen
  2. verschiedene Formen der Unterstützung der Ukraine und der Ukrainer während des Euromajdan und der späteren Okkupation der Krim sowie dem Krieg im Donbass seit 2014
  3. die Teilhabe der Migranten und der ukrainischen Minderheit in Polen an der Entwicklung der Demokratie in der Ukraine.

Besondere Aufmerksamkeit wurde außerdem Problemen gewidmet, denen Ukrainer in Polen und Deutschland bei ihrem Engagement begegnen, sowie möglichen Lösungsansätzen.

Eine maximale Heterogenität der Befragten war das Ziel bei der Auswahl der zum Sample gehörenden Interviewpartner. Um die gesamte Bandbreite des ehrenamtlichen Engagements zu erfassen, wurde versucht, mit den über 40 Interviews je Land möglichst viele unterschiedliche Engagementformen abzudecken.

Zum Sample der Experten gehörten Wissenschaftler, Journalisten, Geistliche, leitende Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, deutsche und ukrainische Beamte unterschiedlicher Verwaltungsebenen sowie deutsche und polnische Politiker. Das Sample der Engagierten bestand sowohl aus Vertretern formellen Engagements, als auch aus Personen, die sich auf informelle Art einsetzten, einschließlich zweier individuell
Engagierter je Land. Es umfasste sowohl Personen, die sich bereits vor dem Euromajdan engagiert hatten, als auch solche, die als Reaktion auf diesen und die russisch-ukrainische Krise aktiv wurden. Das Engagement betraf die Bereiche Bildung, Politik, humanitäre Hilfe, Kultur, Sport und Religion. Die Interviewpartner stammten dabei nicht nur aus Warschau und Berlin, vielmehr wurde eine regionale Ausgewogenheit angestrebt – mit Befragten aus Olsztyn, Rzeszów und Wrocław in Polen sowie verschiedenen Städten in Nord-, Ost-, Süd- und Westdeutschland.

Erzielte Ergebnisse

Aus den Untersuchungen ging hervor, dass das zivilgesellschaftliche Engagement der Ukrainer für ihr Heimatland, die eigenen Landsleute sowie die Reformen in der Ukraine in Polen und Deutschland zahlreiche Ähnlichkeiten aufweist. Dennoch ließen sich auch Differenzen feststellen. Sie resultierten aus Unterschieden bei der Integration in die aufnehmende Gesellschaft, bei der geografischen, kulturellen und sprachlichen Nähe Deutschlands respektive Polens zur Ukraine sowie bei der Politik in beiden Ländern gegenüber den untersuchten Gruppen.

Beispielsweise konnte die in Polen stärker organisierte griechisch-katholische Kirche dort in weit größerem Ausmaß als in Deutschland als Plattform für das zivilgesellschaftliche Engagement dienen und zur Stabilisierung der ukrainischen Identität beitragen.

Als weiterer Grund für Unterschiede kristallisierten sich die Einstellungen der Gesellschaften beider Länder gegenüber dem russisch-ukrainischen Konflikt heraus. Während sich die polnischen Bürger von Anfang an überzeugt zeigten, dass Russland der Aggressor war, war die öffentliche Meinung in Deutschland geteilt.

Dementsprechend war in Polen das Interesse am zivilgesellschaftlichen Engagement der dort lebenden Ukrainer größer als in Deutschland. Dies spiegelte sich unter anderem in der medialen Präsenz der Ukrainer wider, denen in Polen eine ungemein größere Aufmerksamkeit zuteilwurde. Polnische Journalisten suchten und fanden in Vertretern der Engagierten wichtige Ansprechpartner, während in Deutschland eine deutlich intensivere Pressearbeit nötig war.

Gleichzeitig wirkte sich der Euromajdan direkt auf das Engagement und die Zusammenarbeit der ukrainischen Bevölkerung beider Länder aus. Dabei verschob sich die Bandbreite der zivilgesellschaftlichen Aktivität von der Pflege der eigenen Gemeinschaft in der Emigration hin zur Unterstützung der Landsleute in der Heimat. Insbesondere die in Deutschland lebenden Ukrainer bemühten sich, das wachsende Interesse an der Politik in ihrem Heimatland an die einheimische Bevölkerung zu vermitteln. Schließlich galt es, die hier stärker präsenten Darstellungen der russischen Propaganda zu korrigieren.

Durch den politischen Machtwechsel wurden die ukrainische Botschaft und die Konsulate in beiden Ländern zu wichtigen Bezugspunkten für zivilgesellschaftliches Engagement. Die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen in Polen und in Deutschland bewerteten die Ukrainer jedoch ihren individuellen Erfahrungen entsprechend recht unterschiedlich. In Polen wurde sie – auch wegen der niedrigeren, bürokratischen Hürden – besser benotet.

Während Teile der polnischen Gesellschaft noch immer Vorurteile bezüglich der ukrainischen Nation hegen, die mitunter eine gewisse Skepsis gegenüber den Aktivitäten der Engagierten zur Folge hatten, trafen diese in Deutschland auf ein nach wie vor bestehendes Unverständnis für die Situation in ihrem Land.

Dem versuchten die Ukrainer in beiden Ländern mit einem lebendigen kulturellen und gesellschaftlich-politischem Engagement entgegenzuwirken. Mit zahlreichen Veranstaltungen wollten sie Vorurteile gegenüber der Ukraine abbauen und die ukrainische Sichtweise auf die Entwicklungen darstellen. Während in Polen die Wahrnehmung der Ukraine weiter verbessert werden konnte, beklagten die Ukrainer in Deutschland eine unzureichende, teilweise gleichgültige Betrachtung ihres Heimatlandes. Dementsprechend war die Unterstützung des Engagements aus der Gesellschaft in
Polen deutlich größer als in Deutschland.

Die zivilgesellschaftlich engagierten Ukrainer in Polen und in Deutschland mussten eine infrastrukturelle Basis zur Durchführung ihrer Aktivitäten schaffen und standen dabei in beiden Ländern vor unterschiedlichen Herausforderungen. In Deutschland lagen diese insbesondere im Prozess der Institutionalisierung anfänglich informeller Initiativen.
Fehlendes Wissen über Fördermöglichkeiten und mangelnde Erfahrung mit Antragstellungen erschwerten das Engagement. In Polen erhielten nur wenige Initiativen und Organisationen dauerhafte Förderung. Außerdem fehlte es an Instrumenten der Regierung, die spezifisch Migrantenorganisationen unterstützen.

In beiden Ländern bleibt die Herausforderung bestehen, das zivilgesellschaftliche Engagement von Ukrainern für ihr Heimatland dauerhaft aufrechtzuerhalten, da infolge des intensiven Engagements in der Anfangszeit Ermüdungserscheinungen auftraten. Diese wurden durch das Stagnieren des Reformprozesses in der Ukraine zusätzlich befördert.

Die auf Grundlage der Ergebnisse formulierten Empfehlungen werden in der Publikation ausführlich dargestellt. Eine Präsentation und Besprechung erfolgte darüber hinaus auf verschiedenen Konferenzen und gegenüber Entscheidungsträgern.

* Die Texte und Fotos wurden vom Projektteam zur Verfügung gestellt. 

Publikationen

Agnieszka Łada/Katrin Böttger (red.): #EngagEUkraine. Zaangażowanie społeczne Ukraińców w Polsce i w Niemczech, Warszawa 2016.

Agnieszka Łada/Katrin Böttger (hrsg.): #EngagEUkraine. Engagement der Ukrainer in Polen und Deutschland, Warschau 2016.

Andriy Korniychuk/Magdalena Patalong/Richard Steinberg, ­Ukrainians in Poland and Germany: What Role during Euro­maidan and in Ukraine’s ongoing Transformation. [in:] Soviet and Post-Soviet Politics and Society, Oxford/Stuttgart 2017.

Ljudmyla Melnyk/Magdalena Patalong/Richard Steinberg, Ukrainian Diasporic Community in Germany: Main Characteristics and its Engagement for its Homecountry, [w:] UA: Ukraine Analytica, Issue 2 (4) 2016.

Ljudmyla Melnyk/Magdalena Patalong/Julian Plottka/Richard Steinberg, How the Ukrainian Diasporic Community in Germany Contributes to EU’s Policy in its Home Country, IEP Policy Paper on Eastern Europe and Central Asia Nr. 9, Mai 2016.

Projektteam

Dr. Agnieszka Łada
Dr. Agnieszka Łada
Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP), Warschau

Dr. Katrin Böttger
Dr. Katrin Böttger
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Siobhan Kaltenbacher
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Andriy Korniychuk
Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP), Warschau

Ljudmyla Melnyk
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Magdalena Patalong
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Julian Plottka
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Justyna Segeš Frelak
Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP), Warschau

Richard Steinberg
Institut für Europäische Politik (IEP), Berlin

Łukasz Wenerski
Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP), Warschau

Veranstaltungen

24 . + 26. Mai 2016, Warszawa/Berlin: Präsentation und Diskussion der Publikation.  

30. Juni 2016, Gdańsk, Europäisches Zentrum „Solidarność“: Vorstellung der Publikation auf der Konferenz der DPWS.

01.-03. Dezember, 2016, Wien: The 5th Young Scholars: Forum (YSF) on Central- and South East Europe „Challenges and Opportunities of Migration in and from South East Europe“.

31. Oktober-2. November 2016, Moskau: Konferenz: „Nationalisms in the Post-soviet Space: Logics, Ethics, Practices“ des Centre d’Etudes Franco-Russe at the Russian Presidential Academy of National Economy and Public Administration (RANEPA).

8.-10. Juli 2016, Berlin: 24th Conference of the Young
Eastern Europe Experts (JOE).

28.-29. April 2016, Maastricht: Konferenz „The role of non-state actors in the EU’s relations with Eastern Europe and Central Asia an der Universität Maastricht“.

5.-6. November 2015, Frankfurt (Oder): Konferenz „Ukraine’s historical and contemporary interlockings:
A transnational perspective on transformations“ des Frankfurter Instituts für Transformationsstudien (FIT) und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropastudien (DGO).

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